Interview
Diversitäts-Expertin Alex Gessner von ACI Consulting: “Raus aus dem Schubladen-Denken!”
Diversität geht weit über die Gender-Debatte und Pride Parades hinaus. Trotz der wachsenden Anerkennung von Diversität in Unternehmen, verharren viele noch immer in einer begrenzten Sichtweise, die entscheidende Aspekte der Vielfalt vernachlässigt. Darum hat es sich Alex Gessner von ACI Consulting zur Aufgabe gemacht, Unternehmen auf ihrem Weg zu einer vielfältigen und inklusiven Unternehmenskultur zu begleiten, für mehr Talente, mehr Innovation und mehr Zukunftsfähigkeit. Im Interview mit Unternehmer Deutschlands erzählt sie von den Erfolgen und Hürden bei der Sensibilisierung für Vielfältigkeit und wie sie den Mangel an Diversität selbst erlebt.
Alex Gessner von ACI Consulting im exklusiven Interview
Herzlich willkommen bei Unternehmer Deutschlands, Alex Gessner. Kannst du unseren Lesern zu Beginn kurz berichten, wie du zu ACI Consulting gekommen bist??
Ja, gern. Ganz ursprünglich begann alles nach meinem Abitur. Ich wusste nicht wirklich, wie es für mich weitergeht, da ein Studium finanziell nicht drin war. Zuhause wollte ich nicht bleiben, weil ich mich mit dem Mann meiner Mutter überhaupt nicht verstand. So wanderte ich mit 500 Euro Ersparnissen nach England aus – ohne Job, ohne Wohnung und mit viel jugendlichem Leichtsinn.
Ich fing bei American Express in Brighton an und dachte, dass ich das jetzt einfach mal für ein Jahr mache. Aus einem Jahr sind dann irgendwie 12 Jahre geworden, denn es gab immer eine Möglichkeit, sich weiterzuentwickeln.
Ich avancierte schnell zur Führungskraft und blieb noch vier Jahre in Brighton, denn ich bekam spannende Projekte und Teams anvertraut. Und das, ohne Studium oder eine Ausbildung. In Deutschland wäre so etwas undenkbar gewesen.
Nach vier Jahren fragwürdiger Fensterdichtungen und Teppichen im Badezimmer, zog es mich wieder nach Deutschland. Ich wechselte innerhalb von American Express in die Frankfurter Niederlassung.
Und das war, trotz internem Wechsel, ein ganz schöner Kulturwechsel. Dass ich, die damals als jüngste Führungskraft mit Anfang 20 ohne klassischen Bildungsweg Teams leitete, in denen das Durchschnittsalter bei 50 lag, stieß nicht überall auf Begeisterung.
Davon ließ ich mich nicht beirren, ich wusste um meine Fähigkeiten und mein Potential. Gleichzeitig wuchs in mir der Wunsch, für mehr Chancengerechtigkeit zu sorgen. Bildung, soziale Herkunft, Geschlecht, Behinderung, Alter und vieles mehr sollten keinen Einfluss darauf haben, welchen Zugang wir zu Chancen im Berufsleben haben. Lohngefälle, Glasdecken und der Thomas-Kreislauf basieren auf diskriminierenden Strukturen, nicht auf dem Überfluss oder Mangel an Fähigkeiten.
Ich gründete bei American Express und später bei Solaris intersektionale Frauennetzwerke, die beide messbaren Einfluss und Erfolge verzeichnen können. Darüber hinaus setze ich mich auch in meiner Freizeit für Menschenrechte ein.
Durch meine Aktivitäten kam ich 2023 zu ACI Consulting, wo wir Vielfalt als Motor für Innovation verstehen und Unternehmen beim Veränderungsprozess strategisch begleiten. Im Fokus stehen das Hinterfragen und Brechen von bestehenden Prozessen und Stereotypen. Bei ACI übernehme ich die Position als Chief Operating Officer und seit Sommer 2023 fungiere ich auch als Geschäftsführerin.
“Wer gerne arbeitet und gerne lernt, macht das in jedem Alter.”
Beeindruckend, Wo siehst du denn aktuell die Probleme bei der Chancengerechtigkeit?
Das geht los bei Gehaltsunterschieden zwischen Männern und Frauen oder bei trans* Personen. Allein hier ergeben sich Lohnunterschiede zwischen gleichen Positionen von bis zu 40 Prozent. Aber auch Einstellungshürden für migrantisierte Menschen beschäftigen uns täglich. Denn mehr sie müssen in der Regel 40 Prozent mehr Bewerbungen schreiben als Menschen mit einem Deutsch klingenden Namen. Dabei sollten gleiche Rechte und gleicher Lohn für gleiche Arbeit für alle normal sein. In der Realität werden Leistung, Potentiale und Verhalten ganz unterschiedlich bewertet anstatt neutral: wir messen nicht mit zweierlei sondern mit zehnerlei Maß.
Ein anderes Thema ist die Frauenquote: Wenn ich mich mit amerikanischen Unternehmen unterhalte, dann schauen sie immer verwundert, dass Deutschland zum Beispiel immer noch an der Frauenquote arbeitet.
Frauen in Führung, aber auch Menschen mit Behinderung, unterschiedliche soziale und ethnische Herkünfte, ein weniger stereotypischer Blick auf Menschen jenseits der 50: Deutschland hat in vielen Bereichen akuten Nachholbedarf und verschenkt aktuell unglaublich viel Potential durch dieses starre Denken – in Zeiten des Fachkräftemangels katastrophal.
Sieben Millionen Fachkräfte fehlen in Deutschland derzeit und Männer mittleren Alters haben ihr Arbeitspotential bereits zu 90 Prozent ausgeschöpft. Diese Lücken lassen sich kaum noch schließen. Es sind Frauen, zugewanderte Menschen und ältere und jüngere Generationen, die unsere einzige Chance sind, dem Fachkräftemangel beizukommen. Und nachhaltig gelingt das nur, wenn diese Personen die gleichen Chancen bekommen wie jeder Uwe und Christian im Unternehmen auch – denn das erwarten sie. Zu Recht.
Bedeutet das, dass sich Unternehmen mit dieser Form der Ungleichheit selbst Nachteile schaffen?
Absolut. Die Stichworte sind hier Unzufriedenheit und Fluktuation. 43 Prozent der Arbeitenden verlassen ihre Unternehmen auf Grund der Unternehmenskultur. Das schmerzt in Zeiten des Fachkräftemangels doppelt, denn jetzt muss ein Unternehmen nicht nur die Lücke für den demographischen Wandel schließen, sondern hat auch Menschen aus vermeidbaren Gründen verloren. In diesem Zuge kurbeln die meisten Unternehmen das Recruiting an und verbrennen dort weiteres Geld. Denn anstatt zunächst die Ungleichheiten zu beseitigen, werden neue Kräfte in ein Boot gezogen, dass sie schnellstmöglich wieder verlassen. Das verursacht Opportunitätskosten in Millionenhöhe.
Dabei müssten die Unternehmen nur folgendes erkennen: Wenn es schwer wird, neue Kräfte zu finden oder die neuen Mitarbeiter innerhalb eines Jahres wieder gehen, dann liegt die Ursache nicht im Arbeitsmarkt oder der Mitarbeitereinstellung, sondern höchstwahrscheinlich an den Unternehmen selbst.
Hier sprechen die Zahlen eindeutig für sich, denn Unternehmen, die sich ernsthaft mit dem Thema Vielfalt beschäftigen, haben in der Regel übrigens eine doppelt so hohe Mitarbeiterzufriedenheit wie solche, die es nicht machen.
Erkennen das denn alle Unternehmen, dass eine solche Vielfalt sich auch auf die Firmenkultur auswirkt?
Ich würde behaupten, es haben noch nicht einmal alle Unternehmen die Wichtigkeit von Vielfalt und einer Unternehmensstrategie für Vielfalt erkannt. Und das obwohl diverse Teams 25 Prozent produktiver und 19 Prozent innovativer sind als nicht-diverse Teams.
Dafür muss die Unternehmenskultur aber dahingehend entwickelt werden,dass es Raum für eine Diversität gibt. Es ist also wirklich völlig egal, ob man als Einzelperson mit dem Thema Vielfalt nichts anfangen kann, denn als Mitarbeiter ist jeder dazu verpflichtet, rationale Entscheidungen zu treffen, die den Erfolg des Unternehmens ermöglichen. Da führt an Vielfalt kein Weg mehr vorbei. Und ich spreche hier von echter Vielfalt, nicht von den Stilblüten mancher Nachhaltigkeitsberichte, in denen steht, das Unternehmen sei divers, weil von den sieben Männern im Vorstand zwei jünger sind.
Wir reden von inklusiver Führung, von Bildsprache auf Webseiten, von ansprechenden Formulierungen in Stellenanzeigen und inklusivem Recruiting, von Vereinbarkeit für alle: Mütter, Väter, Personen, die Angehörige pflegen, echter Akzeptanz von queeren Personen, Integration von behinderten Mitarbeitenden, einem erfolgreichen Zusammenspiel von drei bis vier Generationen und so weiter. Von “bring your whole self to work” sind wir in den meisten Unternehmen einfach noch viel zu weit entfernt.
Interessant. Wie werden Gleichberechtigung und Diversität denn aktuell in den Unternehmen umgesetzt?
An vielen Stellen unzureichend. Das hängt damit zusammen, dass viele Stereotype tief in den Köpfen stecken: Können Mütter flexibel sein? Geht Führung in Teilzeit? Sind behinderte Mitarbeitende überhaupt leistungsfähig? Ist die Generation Z belastbar? Ein klares “Ja” wäre die statistische Antwort. Im Einzelnen gilt es zu prüfen, was braucht mein Mitarbeiter, meine Mitarbeiterin, wie fördere und bewerte ich und vor allem: wie sorge ich dafür, dass es dabei für alle fair zugeht? Sind zum Beispiel alle Firmenveranstaltungen am Abend oder kann es auch mal ein Mitarbeitenden-Frühstück oder Lunch sein? Wer bekommt Sichtbarkeit und Chancen, sich vor Entscheidern und Entscheiderinnen zu beweisen? Sind es vor allem Menschen, die so aussehen wie die Entscheider*innen selbst und einen sehr ähnlichen Hintergrund haben? Dann fehlen uns nämlich wichtige Perspektiven. Und das Thema erledigt sich nicht dadurch, dass wir uns öffentlich zu Vielfalt bekennen oder ein Mal im Jahr einen Diverstäts-Tag veranstalten, ansonsten aber bestehende Strukturen nicht berücksichtigen.
Aber was können Unternehmen nun explizit besser machen?
Vielfalt muss zuallererst als Unternehmenspriorität festgelegt werden, mit Zielen und konkreten Maßnahmen für die individuelle Situation im Unternehmen. Diese müssen zuerst in einem ehrlichen Audit ermittelt werden. Im Nachgang steht das kontinuierliche Monitoren, um zu wissen, ob die Veränderungen auch ihr Ziel erreichen. Genau so wie wir es bei Kosten, Gewinn und anderen Unternehmenskennziffern machen. Bei ACI Consulting sagen wir immer: “Was nicht gemessen wird, wird nicht gemanagt.”
Im nächsten Schritt geht es dann darum, Diversität im Unternehmen zu leben, in allen Bereichen: Recruiting, Entwicklung, Leistungsbewertung und so weiter. Wo sind unsere Baustellen? Wo gibt es Sollbruchstellen für Frauen, migrantisierte und queere Personen? Führungskräfte sind ein großer Hebel, um die Strategie vom Papier in die DNA des Unternehmens zu überführen, aber dafür müssen sie zu inklusiver Führung befähigt sein.
Vielfalt bedeutet mehr als “bei uns arbeiten 30 Prozent Frauen und 76 Nationen, also machen wir einen Haken an das Thema”. Denn die 30 Prozent Frauen findet sicherlich niemand in den oberen Führungsetagen. Vielfalt ist kein Satelliten-Thema, losgelöst vom Rest des Unternehmens: sie betrifft jeden einzelnen Bereich. Heißt auch in der Unternehmenskultur, die sich nicht einfach über Nacht ändern lässt – hier braucht es transparente Kommunikation und konsequentes Handeln. Denn jedes Verhalten, das wir unkommentiert tolerieren, wird zum Wertekompass.
Also bitte dranbleiben, mit einer guten Strategie dahinter, liebe Unternehmer. Denn mit einer stabilen Kommunikation und klaren Versprechen durch euch, klappt Diversität auch in euren Unternehmen in allen Bereichen.
Denn Diversität ist so viel mehr als die Gleichstellung der Geschlechter, Diversität ist der Hebel für Innovation und wirtschaftlichen Erfolg. Also raus aus dem Schubladen-Denken und Vollgas bei diesen Thema, denn ohne Diversität haben Unternehmen keine Zukunft.