Meinung
Stakeholder statt Shareholder: Brauchen Unternehmen neue Ziele?
Jahrzehntelang folgten Unternehmen einer simplen Regel: Maximierung des Shareholder-Value. Der wirtschaftliche Erfolg wurde fast ausschließlich daran gemessen, wie hoch die Rendite für Aktionäre ausfiel. Wachstum, Gewinnmaximierung und steigende Aktienkurse waren das Maß aller Dinge. Doch in den letzten Jahren ist ein neues Konzept in den Vordergrund gerückt: das Stakeholder-Denken.
Plötzlich sprechen Unternehmen nicht mehr nur von Umsatz und Profit, sondern von sozialer Verantwortung, Nachhaltigkeit und dem Wohl aller Beteiligten – Mitarbeiter, Kunden, Umwelt und Gesellschaft. Firmen wie Patagonia, Unilever oder Tesla präsentieren sich als Vorreiter einer neuen Ära, in der Unternehmen mehr sein sollen als reine Gewinnmaschinen. Auch große Konzerne geben vor, ihre Strategie zu überdenken: 2019 erklärte der Business Roundtable, ein Zusammenschluss der mächtigsten CEOs der USA, dass Unternehmen künftig nicht mehr nur den Shareholdern dienen sollten, sondern allen Stakeholdern.
Doch wie ernst gemeint ist dieser Wandel? Ist er wirklich ein Zeichen einer neuen unternehmerischen Ethik – oder nur geschicktes Marketing, um Kunden und Investoren zu beruhigen? Und welche Folgen hat es, wenn Unternehmen sich nicht mehr ausschließlich an Gewinnmaximierung orientieren?
Wie entstand das Shareholder-Modell – und warum gerät es in die Kritik?
Das Konzept des Shareholder-Value wurde vor allem durch den US-Ökonomen Milton Friedman geprägt, der argumentierte, dass Unternehmen nur eine einzige soziale Verantwortung hätten: Gewinne zu maximieren. Diese Gewinne würden dann über Investitionen, Steuern und Arbeitsplätze automatisch der Gesellschaft zugutekommen. Jahrzehntelang wurde dieses Modell kaum infrage gestellt.
Doch die Realität sah oft anders aus. Viele Unternehmen optimierten ihre Gewinne nicht durch produktives Wirtschaften, sondern durch Massenentlassungen, Steuervermeidung oder riskante Finanzspekulationen. Manager, deren Boni an den Aktienkurs gekoppelt waren, trafen Entscheidungen, die kurzfristig gut aussahen, langfristig aber katastrophale Folgen hatten. Die Finanzkrise 2008 war ein Paradebeispiel für die Schattenseiten dieser Denkweise: Banken, die rücksichtslos Profite maximierten, verursachten einen globalen wirtschaftlichen Zusammenbruch.
Gleichzeitig wuchs der gesellschaftliche Druck. Klimawandel, soziale Ungleichheit und Umweltzerstörung machten vielen Menschen bewusst, dass eine reine Profitmaximierung nicht ausreicht, um langfristig eine stabile Wirtschaft und Gesellschaft zu erhalten. Kunden erwarten heute mehr von Unternehmen als nur gute Produkte – sie fordern Verantwortung.
Stakeholder-Denken: Nur eine PR-Strategie oder echter Wandel?
Die neue Stakeholder-Ökonomie soll genau diesen Problemen entgegenwirken. Anstatt nur die Interessen der Investoren zu bedienen, soll ein Unternehmen alle Beteiligten berücksichtigen: Mitarbeiter, Kunden, Zulieferer, Umwelt und die Gesellschaft insgesamt. Nachhaltigkeit, soziale Verantwortung und faire Arbeitsbedingungen werden plötzlich als ebenso wichtig betrachtet wie Umsatz und Gewinn.
Doch hier beginnt die Debatte: Meinen Unternehmen das wirklich ernst – oder ist es nur ein geschicktes Marketinginstrument?
Viele Firmen schmücken sich mit grünen Labels und sozialen Versprechen, doch in der Praxis bleibt vieles beim Alten. Greenwashing ist längst ein bekanntes Phänomen: Unternehmen preisen ihre Nachhaltigkeitsstrategie an, während sie gleichzeitig in Billiglohnländern produzieren oder umweltschädliche Prozesse fortführen.
Ein prominentes Beispiel ist Coca-Cola, das sich als nachhaltiges Unternehmen positioniert, aber weiterhin einer der größten Plastikverschmutzer der Welt ist. Oder Amazon, das öffentlich für faire Arbeitsbedingungen wirbt, während Berichte über schlechte Bezahlung und harte Arbeitsbedingungen immer wieder Schlagzeilen machen.
Doch es gibt auch positive Beispiele. Patagonia spendet einen Großteil seines Gewinns für Umweltprojekte und hat Nachhaltigkeit fest in seinem Geschäftsmodell verankert. Unilever setzt auf eine langfristige Nachhaltigkeitsstrategie, die nicht nur als Werbemaßnahme dient, sondern tatsächlich messbare Erfolge erzielt.
Der Unterschied liegt oft darin, ob Unternehmen nur in ihrer Werbung über Verantwortung sprechen oder sie tatsächlich in ihre Geschäftspraktiken integrieren. Die besten Firmen beweisen ihre Glaubwürdigkeit durch transparente Berichterstattung, unabhängige Zertifizierungen und konsequentes Handeln – auch wenn es kurzfristig nicht die profitabelste Entscheidung ist.
Kann ein Unternehmen ohne Gewinnmaximierung überhaupt überleben?
Eine der größten Kritiken am Stakeholder-Modell ist, dass Unternehmen am Ende des Tages wirtschaftlich erfolgreich sein müssen, um überhaupt Gutes tun zu können. Gewinne sind notwendig, um zu investieren, Innovationen voranzutreiben und Arbeitsplätze zu sichern. Wenn ein Unternehmen sich zu sehr auf soziale oder ökologische Themen fokussiert, könnte es den wirtschaftlichen Wettbewerb verlieren – und dann hat niemand mehr etwas davon.
Allerdings zeigt sich immer mehr, dass nachhaltiges Wirtschaften und wirtschaftlicher Erfolg sich nicht ausschließen müssen – im Gegenteil. Studien belegen, dass Unternehmen mit einer starken sozialen und ökologischen Verantwortung langfristig besser performen.
Ein Grund dafür ist, dass Kunden bewusster konsumieren. Sie belohnen Unternehmen, die glaubwürdig nachhaltig sind, mit langfristiger Loyalität. Zudem erkennen auch Investoren zunehmend, dass Unternehmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen weniger Risiken haben und auf Dauer stabiler wachsen.
Ein Beispiel ist Tesla: Das Unternehmen wurde lange belächelt, weil es auf Elektroautos setzte, während die meisten etablierten Autohersteller weiterhin auf Verbrennungsmotoren setzten. Heute ist Tesla eines der wertvollsten Unternehmen der Welt – nicht trotz, sondern wegen seiner radikalen Ausrichtung auf nachhaltige Technologien.
Langfristige Strategie schlägt kurzfristige Gewinnmaximierung. Unternehmen, die das verstehen, haben einen entscheidenden Vorteil.
Die Zukunft gehört Unternehmen, die beides können
Die Frage ist nicht, ob Unternehmen für ihre Shareholder oder Stakeholder arbeiten sollten – sondern wie sie beides vereinen können. Nachhaltigkeit und soziale Verantwortung sollten tief in der Unternehmensstrategie verankert sein.
Unternehmen, die Erwartungen ihrer Kunden, Mitarbeiter und der Gesellschaft ignorieren, können nicht langfristig erfolgreich sein. Gleichzeitig müssen sie wirtschaftlich effizient bleiben, um auf Dauer überleben zu können.
Der Wandel zur Stakeholder-Ökonomie ist keine Modeerscheinung – er ist eine Notwendigkeit. Unternehmen, die sich frühzeitig darauf einstellen, werden in der Zukunft nicht nur wirtschaftlich erfolgreicher sein, sondern auch einen echten, positiven Einfluss auf die Welt haben.
Denn am Ende entscheiden nicht nur Aktienkurse über den Erfolg eines Unternehmens – sondern das Vertrauen, das es sich erarbeitet.
