Interview
Dr. Anna Lukyanova: Von Schamlippen zu Vulvalippen – Die Plastische Chirurgin kämpft für Aufklärung und mehr Lebensqualität
Schönheitsoperationen – bereits das Wort löst regelmäßig Assoziationen mit Billig-Kliniken im Ausland und Instagram-Beauty-Wahn aus. Dr. Anna Lukyanova, kurz Dr. Anna genannt, kennt diese Welt und meidet sie bewusst. Die Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie betreibt ihre Praxis NATURL in Düsseldorf auf Basis eigener Maximen.
Statt schnellen Beautification-Trends nachzugeben, setzt die hochqualifizierte Medizinerin auf individuelle Beratung, therapeutische Präzision und ein tiefes Verständnis für die Beweggründe ihrer Patientinnen. Ihre Eingriffe sind keine kosmetischen Impulshandlungen, sondern durchdachte Entscheidungen, die oft mit Neuanfängen im Leben einhergehen. Ob nach Schwangerschaft, Krankheit oder massivem Gewichtsverlust: Für viele Frauen beginnt echte Selbstbestimmung mit dem Mut, sich helfen zu lassen.
Ein Gespräch über Tabus, Vorurteile, veraltetes Schamgefühl und Aufklärung.
Dr. Anna im Interview
Herzlich willkommen bei Unternehmer Deutschlands, Dr. Anna. Würdest du dich und deine Praxis vorab bitte kurz vorstellen?
Sehr gerne! Ich bin Dr. Anna Lukyanova, Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie und Gründerin von NATURL in Düsseldorf. Seit 2021 führe ich meine eigene Privatpraxis. Insgesamt bringe ich 13 Jahre Berufserfahrung mit, davon vier Jahre in der Allgemeinchirurgie sowie die komplette Facharztausbildung in der Plastischen Chirurgie.
Der Weg in die Selbstständigkeit war für mich eine bewusste Entscheidung. Im öffentlichen Dienst habe ich oft erlebt, wie Patientinnen abgefertigt werden mussten. Bei 15 Minuten pro Termin, vorgeschrieben von der gesetzlichen Krankenkasse, kann man kaum auf die echten Bedürfnisse eingehen. Das widerspricht meinem Verständnis von Medizin fundamental. Ich wollte Zeit haben, um wirklich zuzuhören und ein möglichst tiefes Verständnis für mein Gegenüber entwickeln zu können: Was sind die Beweggründe, was soll sich erfüllen? In meinen Räumlichkeiten behandle ich meine Patientinnen daher so, wie ich selbst behandelt werden möchte. Dabei sehe ich mich gerne wie eine Coco Chanel, fokussiert auf den menschlichen Körper und mit einem Sinn für Ästhetik, Handwerk und Kreativität.
Das ist ein schöner Vergleich! Du kommst aus einer Ärztefamilie, war der Weg in die Medizin also vorgezeichnet?
In gewisser Weise schon. Meine Mutter war Kardiologin, mein Vater Chirurg. Wenn man in solch einer Familie aufwächst, hat man fast keine Wahl. Das sage ich zwar immer mit einem Augenzwinkern, aber im Ernst: Mir kam nie etwas anderes in den Sinn. Die Frage, was ich werden wollte, stellte sich nie.
Von Beginn an lag meine Faszination in der Chirurgie. Das Handwerkliche, diese Präzision, ist meine persönliche Meditation. Lustigerweise kam ich dann durch einen Zufall in den plastischen Bereich. Ich wollte mein Studentenpraktikum in der Gynäkologie machen, aber dort war es bereits überfüllt. Man schickte mich daraufhin zur Plastischen Chirurgie und es war Liebe auf den ersten Blick.
Plastische Chirurgie ist weltweit eine der kompetitivsten Facharztausbildungen überhaupt. Die Plätze sind rar, die Nachfrage riesig. Es ist ein schönes und spannendes Tätigkeitsfeld, das hohes Ansehen genießt. Ich war mir dessen stets bewusst und weiß meinen Werdegang daher umso mehr zu schätzen.
Beeindruckend, dass du dich in diesem umkämpften Bereich durchgesetzt hast! Aber Plastische Chirurgie ist ja ein weites Feld. Was genau umfasst die Ausbildung?
Das ist tatsächlich ein wichtiger Punkt, den die wenigsten kennen. Plastische Chirurgie besteht aus vier Säulen: Rekonstruktion nach Unfällen oder Krebserkrankungen, Verbrennungschirurgie, Ästhetische Chirurgie und Handchirurgie. Ich bin durch alle vier Stationen gegangen und beherrsche insofern sämtliche Anforderungen.
Die Verbrennungschirurgie ist übrigens der Ursprung unseres Fachs. Damals stand man vor Patienten mit schweren Verbrennungen, die überlebt hatten, aber was konnte in medizinischer Hinsicht weiter unternommen werden? Es gibt ein Leben nach dem Überleben. Die Plastiker begannen, Haare zu transplantieren, Brüste zu rekonstruieren und Wimpern wiederherzustellen. Daraus entstand letztlich die Ästhetische Chirurgie, nämlich zu einem Zeitpunkt, als offensichtlich wurde, dass diese Techniken auch bei gesunden Menschen anwendbar sind.
Für meine Privatpraxis habe ich mich bewusst auf Ästhetik fokussiert. Rekonstruktionen nach Verletzungen, Tumorchirurgie sowie Handchirurgie gehören in große Zentren mit interdisziplinärer Versorgung. Da sind die Patienten in Deutschland bestens aufgehoben. Aber der Ort, wo Ästhetische Chirurgie wirklich lebt und passiert, das ist hier, in meinen Behandlungsräumen. Ich konzentriere mich darauf, das Wohlbefinden durch meine Eingriffe spürbar zu verbessern, ohne irgendwelchen Beautification-Trends zu folgen. Im Mittelpunkt steht, Frauen über Belastungen hinwegzuhelfen, die ihre Lebensqualität einschränken.
Du legst großen Wert darauf, dich als „Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie“ vorzustellen. Warum ist diese Qualifikation so wichtig?
Weil wir in einem gefährlichen Dschungel arbeiten. Der Begriff „Schönheitschirurg“ ist vollkommen ungeschützt. Jeder kann sich so nennen, ohne entsprechende Qualifikation. Es gibt Hausärzte, die Fettabsaugungen anbieten und Proktologen, die Brüste operieren, ohne dafür ausgebildet zu sein. Was hier wirklich zählt, ist die Qualifikation zur Fachärztin für Plastische und Ästhetische Chirurgie. Dahinter steht ein sehr gutes Abitur, 6 Jahre Medizinstudium, eine international anerkannte Famulatur, weitere 4 Jahre Studium der allgemeinen Chirurgie, gefolgt von einer vierjährigen Spezialisierung auf Plastische Chirurgie und final eine bestandene Facharztprüfung.
Das beste Beispiel sind die beiden jüngsten Todesfälle in Düsseldorf, die große Publicity bekamen. Keiner der beteiligten Mediziner war Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie. Aber in den Schlagzeilen hieß es trotzdem „Schönheitschirurg“. So etwas ist für Patientinnen extrem irreführend und wirkt sich negativ auf die gesamte Branche aus.
Der Unterschied liegt im ärztlichen Ethos, der in der Facharztausbildung wie Muttermilch aufgenommen wird. Viele, die diese Behandlungen anbieten, sind gute Geschäftsleute, aber es fehlt die ärztliche Spezialisierung. Ich appelliere immer an die Eigenverantwortung. Wenn du einen Herzinfarkt hast, gehst du doch auch nicht zum Gynäkologen. Warum lässt du dir dann in einem Friseursalon Botox spritzen? Genauso wenig gehst du in ein veganes Restaurant, um Fisch zu essen. Solche Entscheidungen sind für mich häufig nicht nachvollziehbar. Wir haben nur einen Körper, bei dem wir weder Geld sparen noch Abstriche in der Qualität der Behandlungen machen sollten.
Das ist ein deutliches Statement. Du sagst auch: „Die Patienten wählen mich, aber ich wähle auch meine Patienten.“ Wie sieht das konkret aus?
Es bedeutet, dass eine Operation eine Verpflichtung auf beiden Seiten ist. Sofern ich einer Behandlung von mir aus zustimme, habe ich diese Person ausgewählt. Ich kann Gespräche so gestalten, dass Interessierte umfassend beraten werden, aber nicht das bekommen, was sie ursprünglich wollten. Offene Erörterung und fachlich fundierte Empfehlung sind mir sehr wichtig. Dabei möchte ich die Hintergründe für einen Eingriff verstehen, und letztlich bin ich in erster Linie auch immer noch Ärztin. Im Falle, dass mir eine Operation nicht zielführend erscheint und ich mich ethisch nicht damit identifizieren kann, nehme ich diese auch nicht vor.
Meine zentrale Frage lautet: „Wie lange denken Sie schon darüber nach?“. Sagt jemand mit 26: „Seit ich 15 bin, vergleiche ich mich mit meinen Freundinnen und leide darunter“, dann können wir darüber sprechen. Ist jemand gestern aufgewacht und hat einen Instagram-Trend gesehen, antworte ich: „Kommen Sie in einem Jahr wieder. Haben Sie dann immer noch das Gefühl, den Eingriff machen zu wollen, sprechen wir darüber.“
Wir leben in einer Gesellschaft der Microtrends. Aber unser Körper ist nicht die Zara-Kollektion. Bei einer Patientin, bei der ich die Beweggründe anzweifle oder eine tiefergehende Meinung einholen möchte, empfehle ich teils auch ein psychologisches Gutachten. Überwiegend behandle ich allerdings reife Frauen ab 35, meist nachdem die Familienplanung abgeschlossen ist. Diese Personen sind bereits durchdachter in ihren Wünschen und entscheiden sich bewusst für mehr Lebensqualität.
Im Erstgespräch höre ich anfänglich, etwa 10 Minuten lang, generell nur zu und beobachte. Mir reicht diese Zeitspanne bereits, um zu verstehen: Ist das ihr Wunsch? Oder eine Übersprungshandlung? Oder sitzt der Mann daneben, der möchte, dass sie größere Brüste hat? Mein Ziel ist letztlich immer, meine Patientin in ihren Wünschen optimal abzuholen.
Das klingt nach einem sehr individuellen Ansatz. Was bietest du konkret an und wo liegt dein Schwerpunkt?
Mein Hauptfokus liegt auf dem Mommy Makeover – ein Sammelbegriff für die Wiederherstellung nach Geburten oder massivem Gewichtsverlust. Dabei geht es durchweg um große Live-Events. Die Kinder sind abgehakt, man startet ein neues Kapitel. Häufig gibt es auch einen Abschluss mit der Vergangenheit, also eine Trennung, einen neuen Partner oder beruflichen Neustart.
Das Spektrum in diesem Bereich umfasst Brustverkleinerungen, Brustvergrößerungen, Bauchdeckenstraffungen und Fettabsaugungen. Vielfach kommt Intimchirurgie hinzu: Dinge wie Vulvalippenverkleinerung oder vaginale Verengung. Im Gesicht mache ich Oberlidstraffungen, Browlifting sowie Unterspritzungen. Bei Patienten mit viel Gewichtsverlust auch Fettabsaugungen an Beinen und Oberarmstraffungen.
Gerade die Intimchirurgie ist eines deiner Herzensthemen. Warum?
Weil es die dunkle Ecke ist, über die niemand spricht. Das hat historische Gründe: verschleiert sein, bis der Mann das jungfräuliche Tütchen öffnet. Deswegen heißen die Vulvalippen historisch „Schamlippen“. Wir als Gesellschaft für Gynäkologie und Intimchirurgie sind dazu übergegangen, von „Vulvalippen“ zu sprechen, um zu betonen, dass es da nichts gibt, wofür man sich schämen müsste. Man sollte über sie genauso offen reden können wie über brüchige Nägel. Es ist ein Organ wie jedes andere auch.
Bei Vulvalippen haben 95 Prozent einen objektiv großen Befund mit echten Beschwerden, die ihren Alltag sowie ihr Sexualleben negativ beeinflussen. Dafür gibt es Stadieneinteilungen wie beispielsweise bei Hängebrüsten. Entgegen vieler Vorurteile ist der Beautification-Hintergrund gerade bei Vulvalippen-Chirurgie absolut minimal. Einmal, ich erinnere mich in diesem Zusammenhang noch lebhaft, wünschte sich eine Patientin: „Ich möchte aussehen wie Bonnie Blue“ – eine OnlyFans-Darstellerin. Diese OP habe ich direkt abgelehnt. Solche Wünsche höre ich allerdings extrem selten.
Was sind typische Missverständnisse und bei welchen Themen muss noch mehr Aufklärung her?
Im Bereich des weiblichen Intimbereichs gibt es weiterhin viele Irrglauben und Missverständnisse, weil einfach nicht offen genug darüber gesprochen wird. Zum Beispiel denken viele Frauen, dass Verfärbungen im Intimbereich an schlechter Hygiene lägen. Das ist falsch. Es sind hormonelle Veränderungen und nichts, wofür man sich schämen müsste, auch wenn sich natürlich auf Wunsch etwas dagegen tun lässt. Völlig normal ist auch, dass nach der Menopause die äußeren Vulvalippen austrocknen, die Inneren erscheinen deshalb größer. Trotzdem kann eine Hyaluron-Unterspritzung hier bei akutem Unwohlsein Abhilfe leisten. Auch das Vorurteil, dass Vulvalippen bei viel Geschlechtsverkehr ausleiern können, ist unsinnig.
Aufklärungsbedarf sehe ich aber insbesondere bei Beautification-Trends, bei Hypes, die via Social Media aus dem Nichts entstehen und viral gehen. Der Brazilian Butt Lift zum Beispiel hat eine Sterberate von drei Prozent, die jedoch, wie beschrieben, meist auf der Wahl eines nicht ausreichend qualifizierten Chirurgen basiert. Noch gefährlicher finde ich Unterspritzungen mit unbekannten Substanzen, etwa Kristallen oder Industrie-Silikon aus dem Ausland. Das ist heutzutage wie im Wilden Westen. Bei solchen Behandlungen fehlen einfach die Studien zu Langzeitfolgen. Ich habe eine Patientin, die sich im Thailand-Urlaub etwas hat unterspritzen lassen. Nun versuchen wir in Kleinstarbeit, diese möglicherweise gefährliche Substanz wieder zu entfernen.
Das größte Problem allerdings sehe ich im Bereich Medical Traveling. Die Motivation? „Geiz ist geil.“ Menschen setzen sich in den Flieger, werden nach Ankunft operiert und zwei Tage später sind sie schon wieder weg. Was möchtest du bei einem Folgeproblem in Deutschland erreichen? Den Arzt in der Türkei wird es wohl kaum kümmern.
50 Prozent des Erfolgs liegt in der postoperativen Nachbehandlung. Ohne diese werden ästhetische Eingriffe zum Hochrisikogeschäft mit der eigenen Gesundheit. Patienten brauchen einen Ansprechpartner, der sie vor Ort und professionell zur Nachsorge berät.
Medizintourismus, um ein wenig Geld zu sparen und dieses in Statussymbole wie Autos zu investieren? Unter dem Strich geizt man dergestalt nur auf Kosten der eigenen Gesundheit. Diese Mentalität ist für mich einfach nicht nachvollziehbar – ein Auto kann ich ersetzen, meinen Körper jedoch nicht.
Erschreckend und ein Zeichen für das Setzen völlig falscher Prioritäten. Trotz deiner Werte und hohen ethischen Standards wirst du manchmal kritisiert. Wie gehst du damit um?
Kritik gehört dazu, gerade in meinem Bereich. Oft kommt sie von Menschen, die nicht verstehen, worum es wirklich geht. Der häufigste Vorwurf: Frauen würden sich nur operieren lassen, weil Männer oder die Pornoindustrie das so wollen. Für mich ist das Pseudo-Feminismus.
Echter Feminismus bedeutet Selbstbestimmung. 98 Prozent meiner Patientinnen sind reife, selbstständige Frauen, die das wollen, weil SIE es wollen. Sie werden in ihrer Entscheidungskraft massiv unterschätzt.
Wesentlich ist die Motivation. Beautification, also dieser Instagram-getriebene Trend innerhalb der jüngeren Generation, ist etwas völlig anderes als das, was ich mache. Wenn eine 18-Jährige präventiv Botox will, weil sie gestern ein Video gesehen hat, lehne ich den Eingriff ab. Wenn eine 35-Jährige nach drei Kindern sagt: „Ich spüre seit Jahren, dass mich etwas stört, und ich möchte meine Lebensqualität zurück“, ist das Selbstbestimmung.
Kritik nehme ich ernst, wenn sie konstruktiv ist. Aber pauschale Vorwürfe, die Frauen ihre Entscheidungsfähigkeit absprechen? Da protestiere ich klar und deutlich.
Starke Worte! Was ist deine Vision für die Zukunft?
Ich möchte perspektivisch eine große Klinik mit angestellten Ärzten aufbauen – ein Wohlfühlparadies für Frauen von A bis Z. Vorbereitung mit Kosmetik und Ernährungsberatung, Nachbereitung mit Physiotherapie. Patientinnen sollen sich bei mir rundum wohl und umsorgt fühlen.
Mein Herzensthema bleibt die Enttabuisierung des weiblichen Intimbereichs hin zu einem offenen Austausch über Ängste und Unsicherheiten. Beim Intimbleaching sage ich immer: Verfärbung ist hormonell – du bist weder schlechter noch besser. Diese Aufklärung führt dazu, dass die Hälfte der Frauen sagt: „Okay, jetzt habe ich kein Problem mehr damit.“
Die Geschichten, die ich regelmäßig höre, bewegen mich. Eine meiner Patientinnen erzählte, dass sie nach der Geburt ihrer Tochter vor drei Jahren keinen Verkehr mehr mit ihrem Mann hatte. Sie fühlte sich nach den Folgen der Geburt so unwohl, dass sie sich kurz vor einer Scheidung sah. Letztlich konnten wir gemeinsam durch einen Eingriff ihre Ehe retten. Genau solche Erfahrungen motivieren mich jeden Tag aufs Neue, mehr Menschen zu helfen.
Ein schönes Schlusswort, Dr. Anna. Herzlichen Dank für das tolle Gespräch!
Besten Dank euch für die Einladung.
